Mit einem interessanten Artikel führt der Tagesspiegel in den Diskurs um die Mobilitätsfragen von Grosstädten ein.
Das ein Mix her muss, ist nicht mehr abzustreiten: wenn alle nur noch Auto fahren, wird niemand mobiler. Gleiches gilt für den ÖPNV – der bricht jeden Winter zusammen, weil dann mehr die schneebedeckten Strassen meidet in der Hoffnung, mit der Bus und Bahn besser dran zu sein. Hoffnung.
Immer wieder ist es die Frage nach der Finanzierung, die den Ausbau des ÖPNV oder Alternativen dazu verhindern. Denn eine City Maut trifft den mittelständischen Autobesitzer mehr als den der die Luxuskarosse nutzt. Das macht zwar die Statistik schön, grenzt aber genauso eher bestimmte Personengruppen von der Mobilität aus, wie die Erhöhung der Fahrpreise des ÖPNV, wenn dieser sich damit Geld für den Ausbau beschaffen muss.
Die Kapazitäten sind überall an den Grenzen angelangt: ich sitze grad in Köln und hier scheint es keine Luft nach oben zu geben. Wenn mal mehr Kapazitäten gebraucht werden, ist das Chaos vorprogrammiert: Spiel des 1. FC? Die Strassenbahn ist hoffnungslos überfordert. Die Zuschauer pilgern dann auf der Aachener Straße in Richtung Innenstadt.
Fällt mal eine Regionalbahn zwischen Bonn und Köln aus kann die Strassenbahn es nicht auffangen – die Bahn auch nicht. Die nachfolgenden Züge sind hoffnungslos überfüllt und es müssen immer Leute auf dem Bahnhof zurückbleiben.
Es gibt in Köln und in Bonn interessante und ehrgeizige Bemühungen um mehr Fahrradwege oder zumindest weniger Risiko beim Fahrradfahren. Da kommt es zum nächsten Phänomen: einige Strassen und Gegenden sind super ausgebaut, um diese fast schon paradiesischen Verkehrsinseln liegen riesige Areale im Nirvana des „Investitionsstaus“. Das sind Bereiche in denen seit Jahren kein Spaten mehr in die Hand genommen wurde, um diese Verkehrswege von Verschleiss zu befreien und gleichzeitig an aktuellen Bedürfnissen anzupassen. Und so unregelmäßig, wie man wieder mal an Geld kommt, so ungeordnet gehts dann mit dem Ausbau auch weiter…
Ich sehe in einer Stadt wie Bonn zum Beispiel folgendes Problem: viele dort fahren einen Dienstwagen – das heisst Kosten, die dort ansetzen, erreichen die Unternehmen – nicht die benutzer. Daneben wohnen viele Bonner, wegen der Wagen, auch nicht in der Stadt, sondern dort, wo man sich ein Einfamilienhaus hinsetzen konnte. Was regelmäßig dort ist, wo der ÖPNV kein Angebot bereit hält.
Im Berlin Anfang des 20. Jahrunderts wurde ein Streckenplan für die S-Bahn der Stadt gemacht und das Sternkonzept gebildet. Dh. man hat Trassen strahlenförmig ins Umland geplant. Entlang der Trasse wurden Baugrundstücke billiger angeboten. Zwischen diesen Strahlen lagen dann Bereiche, die man nicht für Bebauungen freigegeben hatte – grüne Inseln, die dann als Naherholungsgebiete und ähnliches vorgesehen waren. So ging es auch mit der U-Bahn. Die Strecke Richtung Ruhleben fuhr ab 1915 über den heutigen Theodor Heuss Platz hinaus – nur standen damals dort noch keine Häuser. Diese kamen erst danach.
In der Hochzeit dieses Konzeptes, den 30ern erntete man dann den Erfolg: ein Nahverkehrssystem das täglich 15 Millionen Fahrgäste beförderte – eine Zahl die wir heute in Berlin nicht mehr erreichen. Auf dem Ring fuhren die S-Bahnen im niedrigen minutentakt – auch ein Traum aus heutiger Sicht. Und als die Olympiade Berlin mit Massen von Besuchern voll machte – der ÖPNV war dem gewachsen.
Aber die Jahre der Umkehr mit dem Blick auf das Auto lassen sich nicht so schnell wieder rückgängig machen. Das Beispiel Berlin zeigt nur, dass Stadtplanung einen langen Atem braucht. Wenn wir heute also Umsteuern kann es nicht um „der große Wurf“ in 5 oder 10 Jahren gehen – sondern der Plan muss konsequenterweise in kleinen Etappen und auf ein viel langfristigeres Ziel von 20-30 Jahren ausgerichtet sein. Der Vorteil: ich kann in kleinen Schritten meinem Ziel entgegen planen und dafür möglicherweise den Wandel in der Stadt zum Anlasse nehmen, in dem ich dort anpasse, wo ohnehin gebaut wird. Zur Finanzierung solcher Vorhaben muss man sich dennoch zusätzliche Mittel für die Stadtkassen beschaffen können. Der Fahrschein ist da ein eher ungeeigneter Weg, da damit das Auto gestärkt wird. Die Maut verbannt die Mittelschicht aus der Stadt. Früher haben die Städte den öffentlichen Nahverkehr durch Gewinne bei der Energieerzeugung querfinanziert. Dank entschlankter Haushalte ist das nicht mehr möglich.
Woher soll das Geld kommen, um über so lange Zeiträume die Mobilität in Städten zu wandeln und damit zu erhalten? Aus meiner Sicht sind dies drei Bereiche: moderate Anpassung der Fahrpreise, damit die ÖPNV Unternehmen die Wartung ihrer Infrastruktur hinbekommen, und nicht jeder Wintereinbruch mit dem Einbruch der Verkehrsleistung einhergeht. Einführung einer City-Maut gestaffelt nach Fahrzeugklassen. Kleinwagen zahlen weniger als die mondänen SUVs. Damit wird jeder, der sich den Luxus gönnt entsprechend zur Kasse gebeten. Streichung der Kilometerpauschale für Fahrtwege unter 10km. Wer so nah am Arbeitsplatz wohnt, muss das Auto nicht benutzen. Man kann hier Ausnahmen für Familien machen. Da diese aber ohnehin ins Umland ziehen, und damit eher jenseits der 10km Grenze, dürfte das dort kein Thema sein. Das Geld das hier eingespart wird, kann man dann in günstige ÖPNV Tickets für Hartz 4 oder Schüler und Senioren stecken.
Aber eine Sache fehlt dann noch: da solche Entwicklungen mehrere Legislaturperioden dauern, muss es einen Weg geben, nicht gleich bei jedem Widerstand den Plan zum Opfer des nächsten Wahlkampfes zu machen. Damit siegt dann das kurzfristige Spiel um den Machterhalt und der Machtgewinnung gegen das langfristige Ziel mit dem Ergebnis, dass keine Maßnahme konsequent ihr Ziel erreicht und alles so bleibt wie es bereits ist. Und dafür habe ich im Moment auch keine Idee, die mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar wäre…